Wissenswertes
Das Almidyll: Vom wahren Leben am Sehnsuchtsziel
Einen gipfelgesäumten Horizont, grenzenlose Freiheit und urwüchsige Gemütlichkeit: Das erträumen sich die Almwanderer. Ihre Gastgeber auf den Ötztaler Almen stemmen bei jedem Wetter einen 12-Stunden-Tag als Bauern, Köche, Wirte, Viehzüchter oder Hirten in Personalunion. Was hält sie trotz aller Mühen oben am Berg? Das und mehr habe ich in Gesprächen mit sechs Ötztaler Almwirten zu ergründen versucht.
Familienfreundliche Waldwirtschaft Wurzbergalm
Die Wurzbergalm über Längenfeld: Haus und Hof werden nachhaltig bewirtschaftet © Ötztal Tourismus
„Wir schaffen es mit vereinten Kräften gerade eben so“, sagt Erich Holzknecht, „andere nicht. Jedes Jahr hören ein paar auf“. Einsam ist es mitten im August auf der Wurzbergalm über Längenfeld. Ob es am Werktag liegt? Erich Holzknecht zuckt die Schultern. „Alles hat sich geändert. Bis in die 1980er Jahre sind die Gäste, vor allem Familien, im Sommer 14 Tage bei uns geblieben. Für den Winter gab es sogar einen Skilift vor der Haustür.“ Die Familie Holzknecht ist schon seit mehreren Generationen auf der Alm. 1960 wich das ursprüngliche Gebäude, von dem aus sie die umliegenden Bergmähder bewirtschaftete, dem heutigen Wohnhaus.
„Es geht nur mit einer starken Familie“, sagt Holzknecht. Die fünf bis sechs Kühe, der Hof, die Heuernten, die schwere körperliche Arbeit – all das muss auch funktionieren, wenn am Wochenende viele Gäste da sind. Dann helfen Erichs Frau und die drei Töchter, wo sie können. Bei aller Härte ist es aber auch ein Leben, das zufrieden und glücklich macht am Ende des Tages. Das spüren die vielen Stammgäste und belohnen die Familie mit langjähriger Treue. Die Holzknechts halten ihren Hof bestens in Schuss und wollen auch mit moderner Technik für Nachhaltigkeit sorgen. Vom Diesel will Erich weg und auf Photovoltaik umrüsten – eine enorme Investition. Aber auch die werden sie stemmen. Wenn du hier außer im Sommer auch im Winter hochstapfen willst, bist du auf der präparierten Rodelstrecke sicher nicht allein. Die Rodelbahn mit Einkehrschwung zählt bei Gästen und Einheimischen zu den Freizeit-Highlights.
Aussichtsreicher Tummelplatz: die Feldringalm
Die Feldringalm am Haiminger Berg: Ein Anziehungspunkt für Familien und Knödelfans © Elias Holzknecht / Ötztal Tourismus
„Wenn auf unseren Bergen diese Almen verschwinden, dann fehlt etwas, aber ganz gewaltig“, sagt Alois Neurauter von der Feldringalm mit Nachdruck. Seine Alm ist ein echter Sommer- & Winter-Hotspot, bei dem alles passt. Am Sattele über Haiming gibt’s einen großen Parkplatz, der Wanderweg ist kinderwagentauglich, und oben findest du dann die Erklärung für den Andrang: Panoramablick auf knapp 1.900 m, Spielareale für Kinder und – die Speisekarte. Hannes ist ein gestandener Küchenchef und hat sich auf Knödel spezialisiert. Vater Alois, inzwischen Pensionär im Unruhestand, ist sichtlich stolz auf seinen Clan und zählt auf, wie sich in der Großfamilie alle um das Hotel in Haiming Ochsengarten und um die Berghütte kümmern. „Es wird von Jahr zu Jahr schwerer. Sobald du eine Jausenstation hast, greifen EU-Richtlinien und Landesverordnungen. Die muss man nicht immer verstehen, aber einhalten.“
Die Feldringalm gehört der Almgemeinschaft Haiminger Berg und ist seit 2007 an die Familie Neurauter verpachtet. Das Almgebiet umfasst 580 Hektar, 220 davon sind Weideflächen. Auf Höhen zwischen knapp 2.000 m und 2.500 m gelegen, sind sie ungeeignet für die Milchwirtschaft. Pferde und Kühe stehen auf der Alm. Das sieht schön aus, rechnet sich aber kaum. „Wir haben im Ötztal keine Massentierhaltung“, sagt Alois, der sich als Obmann diverser landwirtschaftlicher Gremien und Verbände um die Ötztaler Almwirtschaft verdient gemacht hat. Im Ort unten besitzen die Neurauters ein großes Hotel und profitieren auf der Alm von der gelernten Professionalität. Ohne dieses Know-how ist die Selbstausbeutung vorprogrammiert. Und dann ist da noch der ständige Kampf um einen Rest von Privatleben: 85% der Almbauern arbeiten nur im Nebenerwerb in der Landwirtschaft und gehen außerhalb der Saison ihrem gelernten Hauptberuf nach. 70% der Almbauern sind Familienbetriebe. Im Sommer kommen leicht zwölf Stunden Arbeit am Tag zusammen. „Do find amol a Frau, die dös mitmocht,“ meint Alois.
Geheimtipp für Auf- und Absteiger: die Acherbergalm
Die Acherbergalm über Oetz: Authentische Küche, cooler Blick ins Oberland und ökologische Zukunft © Acherbergalm
Kontrastprogramm Acherbergalm: Absolute Ruhe auf 1.888 m, hoch über dem Ötztal. Der Blick von der Terrasse – wie über den Rand eines Adlerhorsts. Ein paar Mountainbiker kommen gerade verschwitzt von Oetz herauf, während ich mit einer Wandergruppe nach dem Abstieg von der Bielefelder Hütte eintreffe. Hier hat der Pächter gewechselt. Begrüßten uns vor einem Jahr noch die beiden Hausziegen „Sonne“ und „Mond“, ruft uns heute Maximilian Falkner ein zünftiges „Griaß Enk“ entgegen. Mitte Juni 2018 hat er gerade einmal zwei Wochen die Alm geführt und macht den Eindruck, als hätte er nie etwas anderes gemacht. Mit dem Hirten David Streiter sorgt er für die Bewirtschaftung. 2013 wurde das Haus komplett renoviert, jetzt investiert die Gemeinde Oetz, der die Alm gehört, in die ökologische Zukunft und legt eine biologische Kläranlage an.
Viele Familien und Wanderer zieht die Hütte an, wegen des tollen Blicks ins Oberland, aber auch wegen der authentischen Küche. „Der eine kommt aus Zwieselstein, ich bin von Niederthai, alles echtes Ötztaler Urgestein. Und so soll auch die Speisekarte aussehen: Hausmannskost mit regionalen Produkten von den einheimischen Bauern, übernachten im 2012 komplett renovierten Haus, und alles genießen mit einer unvergleichlichen Aussicht“, sagt Almwirt „Falke“ selbstbewusst. Die erste Bewährungsprobe hat er schon Mitte Juni hinter sich gebracht, als Volksmusik und Tanz wie jedes Jahr die Gäste in Scharen auf die Berge lockte. Höhepunkt ist dann der dritte August-Sonntag mit einer Bergmesse am Roten Wandl und Live-Musik auf der Hütte. Im Winter bleibt die herrliche Acherberg Alm geschlossen. Zu groß ist die Lawinengefahr für einen Winterbetrieb.
Almjuwel über Längenfeld: die Brandalm
Die Brandalm: Blitzblankes Gelände für Seelenbaumler oberhalb von Längenfeld © Ewald Schmid / Ötztal Tourismus
Der Winter ist auch für die Familie von Siegfried Jordan von der Brandalm über Längenfeld eine Herausforderung. Wanderer erreichen die Jausenstation in einer guten Stunde über eine Fahrstraße. Die beliebte Rodelbahn leidet oft während milder Winter, aber wenn sie befahrbar ist, läuft das Geschäft. Auch auf der Brandalm hat man die sommerliche Milchwirtschaft eingestellt. Jordan hält inzwischen Ziegen und blickt auf fast 30 Jahre Bergalmleben mit seiner Frau zurück. Der Generationswechsel hat ihn lange beschäftigt. Inzwischen langen sein Sohn und dessen Verlobte kräftig hin. Das sieht man, denn die viele Handarbeit lassen die Brandalm, den kleinen Streichelzoo, die Wiesen und die Kapelle geradezu erstrahlen. Alles ist gepflegt und blitzblank. Hier die hervorragende Hausmannskost vor der Kulisse der Gletschergipfel zu genießen, das ist Balsam für die Seele.
Refugium für die Sportlichen: Die Stabele-Alm
Die Stabele-Alm: Lohnendes Ziel für ambitionierte Biker und Wanderer mit Startpunkt Längenfeld © Bernd Ritschel / Ötztal Tourismus
Marisa Gstrein auf der Stabele-Alm bewirtet bei meiner Ankunft mit ihrer Tochter Elena gerade zwei konditionsstarke Mountainbikerinnen aus Längenfeld. Bike-Kontrolle: kein Akkubetrieb, Respekt! Aber wenn du ein E-Bike unten im Tal ausleihst oder privat eines besitzt, dann ist die Stabele-Alm durch den abwechslungsreichen Fahrweg ein lohnendes Ziel. Zu Fuß brauchst du schon deine zweieinhalb Stunden herauf. Das siebt aus unter den Wanderern. Marisas Eltern waren auch schon auf der Alm, das verpflichtet. „Das gibst du nicht einfach auf, auch wenn mal wochenlang durch schlechtes Wetter das Geschäft leidet. Und schließlich haben wir ja auch tapfere Stammgäste“, sagt die Wirtin. Angesprochen auf die legendäre Gampe Thaya über Sölden meint sie: „Mit dem Jakob kann sich keiner vergleichen. Der arbeitet beinhart. Seine Alm liegt allerdings auch direkt an der Skipiste und im Sommer hast gerade 20 Minuten Fußweg dorthin.“
Unvergessliches Almerlebnis: Gampe Thaya
Die Gampe Thaya über Sölden: Vorzeigealm mit eigener Molkerei und kreativer Regionalküche © Erwin Haiden / bikeboard.at
Dieses besondere Ziel habe ich mir für den krönenden Abschluss meines Almentrips aufgehoben. Eine Bergalm als Spitzenreiter der Restaurant-Bewertungen fürs Ötztal im Tripadvisor, das glaubst du erst einmal nicht. Seit kurz nach vier ist Jakob Prantl schon auf den Beinen, hat sein geliebtes Tiroler Grauvieh versorgt und in der selbst konzipierten Molkerei neben der Alm gearbeitet. Es ist seines Wissens die einzige traditionelle Alm, die oben auf dem Berg alle Standards einer Großmolkerei erfüllt. So gelangt kein Tropfen der kostbaren Milch ins Tal. 22.000 Liter Milch verarbeitet Jakob pro Jahr in der frischen Bergluft zu preisgekröntem Käse und herrlich intensiver Almbutter. „Das Doppelte wäre möglich, aber dann geht es genau in die falsche Richtung, auf Masse“, sagt der Almbauer und Viehzüchter, ein Sturschädel im besten Sinn. Prantl experimentiert gern, hat sich gemeinsam mit Dr. Maria Hauser, der Gründerin der Initiative „Urlaub auf dem Bauernhof“, andere Musterbetriebe angeschaut – und kehrt letztlich meistens zu den väterlichen Einsichten zurück. „Einmal habe ich die Alm gegüllt wie es viele machen. Das Gras war anders, die Butter war anders. Ich hab’s wieder gelassen. Mein Vater hatte wieder einmal Recht mit seinem Spruch: Die Milch ist eine empfindliche Dame!“
Heute ist die Gampe Thaya weit über das Ötztal hinaus bekannt als Musterbeispiel eines zukunftsfähigen Hüttenkonzepts, weil innere wie äußere Umstände passen: Eine modern geführte Gourmet-Hütte, in der alte bäuerliche Traditionen höchst lebendig sind. Das Echte, das Authentische berührt uns. Wir spüren den Einfallsreichtum und die Leidenschaft, aber auch die Schwerarbeit draußen und in den vier Wänden. Genau das ist die Seele dieser Ötztaler Bergalmen, der Geist, der sie alle verbindet, von der Feldringalm am Taleingang bis zur Gampe Thaya hoch über Sölden.
(Titelbild: © Elias Holzknecht / Ötztal Tourismus)
Info
Feiertage, Witterung und Baumaßnahmen auf Hütten oder Versorgungswegen haben Einfluss auf die Öffnungszeiten der Hütten. Bei Pächterwechsel ändern sich auch die Telefonnummern und Reservierungskontakte. Aktuelle und zuverlässige Informationen gibt die Internetseite www.oetztal.com/almen-verzeichnis.
- Die Wurzbergalm findest du virtuell unter www.wurzbergalm-oetztal.at
- Mit der Feldringalm kannst du HIER auf der Facebook-Page Bekanntschaft machen
- Mehr über die Acherbergalm erfährst du HIER im Almen- & Hüttenverzeichnis
- Details zur Brandalm findest du HIER auf der offiziellen Website
- Erste Impressionen von der Stabele-Alm gibt dir www.gstreinshof.com/stabele-alm/
- Über die Gampe Thaya informiert dich HIER die offizielle Website
© Lutz Bormann
Gastautor Lutz Bormann
Lutz Bormann (Jahrgang 1956), kam im Alter von zehn Jahren zum Bergsteigen und durfte seit 1991 die Leidenschaft mit dem Journalistenberuf verbinden: Zuerst kam das Magazin BERGE, dann DAV Panorama beim Deutschen Alpenverein und im eigenen Redaktionsbüro eine Palette weiterer Outdoor-Magazine.
Der Familienstand machte die Berge zwar steiler, die Routen kürzer und die Texte länger, doch inzwischen bringt mich die Arbeit für das ÖTZTAL MAGAZIN und die Bergrettung Tirol meiner Bergleidenschaft wieder näher.
Weitere Beiträge von Lutz Bormann:
Ötztal Magazin
Lutz Bormans Almenreportage “Vom wahren Leben am Sehnsuchtsziel” im ÖTZTAL MAGAZIN Sommer 2018 vertieft deine Eindrücke über das Landleben im Ötztal. Das Printmagazin mit den aktuellsten und interessantesten Geschichten zur Ötztaler Frühlings-, Sommer- und Herbstsaison erhältst du in den Sprachen D/EN/NL kostenlos in allen Informationen des Ötztal Tourismus. Unter der Adresse www.oetztal.com kannst du es bestellen und dir frei Haus zustellen lassen oder als Blätterkatalog betrachten.
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